Haupthaus Villa Hügel, Westseite: Der Blick des aufmerksamen Betrachters / der aufmerksamen Betrachterin wandert an der Außenfassade in die Höhe. Im zweiten Obergeschoss macht er halt und entdeckt einen Balkon, der sich in seinem Aussehen und seiner Dimension deutlich von den anderen seiner Art abhebt. Halbrund und zierlich ist er, dieser besondere Balkon. Er ist Teil eines weiteren besonderen Bereichs in der Villa Hügel, einer kleinen, in sich abgeschlossenen Wohnung innerhalb der Villa Hügel – der sog. Kemenate. Sie gehört zu den besterhaltenen bürgerlichen Interieurs der späten Kaiserzeit.
Die Kemenate entsteht an der Stelle des ehemaligen Malersaals. 1901 lassen Friedrich Alfred (Sohn von Alfred Krupp) und seine Frau Margarethe Krupp von dem Berliner Innenarchitekten Hermann Ernst Mieritz diesen Bereich vollständig umplanen. Im klaren Kontrast zu den großen repräsentativen Räumlichkeiten der restlichen Villa Hügel, sollen für die Töchter Bertha (16) und Barbara (15) kleine, private Rückzugsorte geschaffen werden.
Mieritz gestaltet den Malersaal vollständig neu: Decken und Zwischenwände werden eingezogen, Schlaf- und Wohnzimmer auf zwei Etagen entstehen verbunden durch ein Treppenhaus mit Flur. In das Untergeschoss werden die beiden Mädchen einziehen, das Obergeschoss ist Gästen vorbehalten.
Der Königlich preußische Hofmöbelfabrikant Bembé aus Mainz statt die Räume mit Einbau- und beweglichen Möbeln im englischen Stil aus. Im Eingangsbereich der Kemenate wird ein für die damalige Kaiserzeit luxuriöses Bad mit Badewanne, Bidet und WC eingebaut. Im Obergeschoss befindet sich neben weiteren Schlaf- und Wohnräumen für Gäste auch das Schrankzimmer für die Kleidung der beiden zukünftigen Bewohnerinnen. Zwei Besonderheiten zeichnen diesen Raum aus: Zum einen ist das floral gestaltete Oberlicht aus Bleiglasfenstern zu nennen, welches mit dem Dach verbunden ist und den Raum mit Tageslicht erhellt. Zum anderen ist die Gestaltung des Fußboden hervorzuheben: Kleine Glassteine, Vorläufer der heutigen Glasbausteine, ermöglichen die Beleuchtung des direkt darunter liegenden Badezimmers.